10 Jun Naturparadies aus zweiter Hand
Offenau. Bald brummt und summt es zwischen den farbenprächtigen Blüten, geruhsam plätschert im kleinen Seitenarm zum Neckar ein Rinnsal. Hier zwischen Hainbuche, Geißblatt und Traubenkirsche sollen sich künftig Insekten wie auch Amphibien wohlfühlen: Einige Kilometer von der Autobahn A6 entfernt wird eine große Fläche bei Offenau demnächst zu einem neu angelegten Lebensraum für Insekten, Vögel, Amphibien und anderes Getier zählen. Die Heimat aus zweiter Hand ist eine Ausgleichsmaßnahme, die jetzt im Rahmen des Autobahnausbaus zwischen Wiesloch/Rauenberg und dem Weinsberger Kreuz angelegt wird.
Der Schutz der Natur ist ein zentrales Thema bei der Planung und Realisierung des sechsspurigen Autobahnausbaus im Kraichgau und Unterland durch die Projektgesellschaft ViA6West. Ziel des Artenschutzes ist es, dem vom Menschen ausgelösten Artenrückgang wildlebender Tiere und wildwachsender Pflanzen entgegenzuwirken.
Die größte Aktion zum Schutz der bedrohten Arten wird vom privaten Autobahnbetreiber aktuell in Offenau umgesetzt: Der Neckar darf südlich der Gemeinde aus seinem engen Flussbett und in Zukunft auch durch einen durchströmten Altarm mäandern; hier wird derzeit ein rund 40.000 Quadratmeter großes Refugium für die Tier- und Pflanzenwelt angelegt – das entspricht der Fläche von rund vier Fußballfeldern. Schwarzerle, Bruchweide, und Neckarschwarzpappeln werden am Uferbereich gepflanzt, die Böschungen hin zum Neckar werden entsprechend abgeflacht.
Als Ausgleichsmaßnahme für den Ersatzneubau des Neckartalübergangs bei Heilbronn ist eine Renaturierung des Neckarvorlandes vorgesehen. In diesem Rahmen erfolgt die Herstellung eines Seitengewässers mit beidseitigem Neckaranschluss sowie die teilweise Tieferlegung des Neckarvorlands. „Bei der Ersatzmaßnahme im Gewann „Suhlwiesen/Obere Gerechtigkeitswiesen“ der Gemeinde Offenau handelt es sich um ein ganzes Paket verschiedener Teilmaßnahmen, durch die insgesamt die naturschutzfachliche Aufwertung der Neckaraue bezweckt wird“, erklärt Bastian Fuchs. Eigentlich ist der Oberbauleiter der Bauarbeitsgemeinschaft (BauArge) von Hochtief und Johann Bunte für den Ausbau der A6 zuständig. Doch der Bauingenieur sieht die Ausgleichsmaßnahme bei Offenau als besondere Herausforderung. Bis zum Spätjahr 2019 soll alles fertig sein, deshalb sputen sich aktuell die beauftragten Unternehmen.
Im ersten Schritt erfolgt die Absenkung des Neckarvorlands, die Herstellung des Seitengewässers und abschließend die Anbindung des Seitengewässers an den Neckar sowie die partielle Uferrenaturierung durch die Herstellung von Uferbuchten.
Und es sind viele Teilmaßnahmen, die mit dem neuen Lebensraum am Neckar Zug um Zug in den nächsten Wochen und Monaten umgesetzt werden: Zur Förderung der heckenbrütenden Vogelarten – insbesondere der Goldammer, – werden Feldhecken/-gehölze aus heimischen Laubbaum- und Straucharten angelegt. Auch für Vogelarten wie Teichrohrsänger und Blässralle hat die Maßnahme in Offenau eine besondere Bedeutung, da durch die flachen Uferbuchten am Neckar und die Seitengewässer mit Röhrichtbesatz ein neuer Lebensraum geschaffen wird, erklärt hierzu David Kunderer. Der Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Stuttgart ist verantwortlich für die Umweltthemen beim Projekt zum Ausbau der A6.
Abschließend werden Ansaat und Bepflanzung vorgenommen. Danach erfolgen die Arbeiten am und im Gewässer. Genauer: Absenkung Vorland und Abflachung des Neckarufers. „Danach werden Uferbuchten mit Steinschüttungen und Schilfröhricht angelegt“, erklärt Bastian Fuchs weiter. Und besonders auffällig: Größere Steine werden zum Uferschutz und Wellenbruch eingebracht.
Die Absenkung der Uferböschung erfolgt mit Bagger und Planierraupen. Nach der Abtragung des Oberbodens wird der Böschungsbereich um rund 1,5 Meter abgetragen. Dies entspricht in etwa einem Niveau von 1,2 Meter oberhalb des Stauwasserspiegels. Im Bereich von Flusskilometer 99+300 bis ca. 99+460 sieht die Planung die Herstellung von zwei Uferbuchten vor. Die Tiefe der Uferbuchten variiert. Darüber hinaus werden die Uferbuchten mit Totholz, Lahnungen (Uferschutz) und so genannten Störsteinen zum Wellenbruch versehen. „Störsteine werden im Rahmen von Renaturalisierungsmaßnahmen mit dem Ziel, Gewässer wieder in einen guten, ökologischen Zustand zurückzuführen, künstlich in ein Flussbett gesetzt“, erklärt hierzu Bauleiter Fuchs.
Für die Ansaaten wird Saatgut aus der Region süddeutsches Berg- und Hügelland verwendet. Zur Förderung der heckenbrütenden Vogelarten insbesondere der Goldammer werden zwischen den Seitengewässern und dem verlegten Wiesenweg Feldhecken/-gehölze aus heimischen Laubbaum- und Straucharten angelegt. Wie Bastian Fuchs von der Bauarbeitsgemeinschaft (BauArge) Hochtief und Johann Bunte weiter erklärt, kommt hier wurzelnackte Pflanzware zum Einsatz.
Große Besonderheit: Im Bereich der abgesenkten Flächen werden echte Neckar-Schwarzpappeln gepflanzt, „die stammen aus genetisch bestimmtem Saatgut“, sagt Bastian Fuchs weiter. Diese sollen mittel- und langfristig die zurzeit landschaftsbildprägenden Hybridpappel ersetzen, deren Bestand bereits ca. 70 Jahre alt ist und Verluste in den nächsten Jahrzehnten durch Ast- und Stammbruch zu erwarten sind. Die Wiesenflächen östlich der Seitengewässer können nach der Fertigstellung wieder in die landwirtschaftliche Nutzung übergehen.
Apropos Wiesenflächen: Gräser und Kräuter werden auf mehr als 33.000 Quadratmeter ausgesät. Und ebenfalls imposant: Gepflanzt werden auf der Gesamtfläche der Ausgleichsmaßnahme beim Neckar 331 Feldhecken und 1503 verschiedene Ufergehölze, 1430 Pflanzen sind für die 1121 Quadratmeter große Schilffläche vorgesehen.
Und natürlich auch für Fische werden spezielle Lebensräume geschaffen. „Bei der Maßnahme in Offenau findet insbesondere eine Vernetzung von Laichhabitaten und Jungfischlebensräumen statt,“ erklärt David Kunderer weiter. Dazu werden u.a. – auch mit dem Einsatz von Tauchern – Totholzstücke und Wurzelstuppen unter Wasser angebracht, sodass auch „unsichtbare“ Unterwasserbiotope entstehen.
In die Sohle und im Bereich der flachen Uferbucht am Neckar werden für die kleinen Seen, Tümpel und Rinnsale Wasserbausteine aus Muschelkalk eingebaut. Im Bereich der Uferbucht dienen sie als Wellenbrecher. In den Seitengewässern können sie von Vögeln und Insekten als sonnigen Ansitz genutzt werden. Im beidseitig angeschlossenen Seitengewässer haben sie außerdem strömungslenkende Wirkung. Die Inselbereiche sollen sich weitgehend ungestört entwickeln können. Daher sollen hier nur in Ausnahmefällen Pflegeinsätze erfolgen.
„Aktuell sind wir gut im Zeitplan. Ich rechne fest damit, dass die umfangreiche Maßnahme am Neckar bis zum Spätjahr abgeschlossen sein wird“, erläutert Oberbauleiter Bastian Fuchs abschließend.
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